
Die industrielle Transformation in Deutschland steht am Scheideweg. Viele erfolgsverwöhnte Branchen stehen unter wachsendem Druck, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und sich nachhaltig zu transformieren. Damit der Industriestandort Deutschland wettbewerbsfähig bleibt, gilt es im Zusammenspiel von Wirtschaft und Politik strategische Lösungen zu entwickeln, die effektive Rahmenbedingungen auf Bundes- und Landesebene mit dynamischen regionalen Ökosystemen verbinden, um die koordinierte Transformation der Industrie voranzubringen.
Die Jahrestagung des Servicezentrums für industrielle Transformation in den Regionen (SiT) am 27. November in Hannover bot dafür wichtige Anstöße. Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Wertschöpfung. Wandel. Weiterdenken.“ und brachte Vertreter:innen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung für einen produktiven Ideen- und Erfahrungsaustausch zusammen.

Wertschöpfung: Daten, Zielbilder und die Frage nach dem „Wohin?“
Für Regionen wie Unternehmen gilt: Transformation gelingt nur dann, wenn klare Zielbilder und verlässliche Daten die Grundlage für Entscheidungen bilden.
Ein nützliches Werkzeug dafür ist der vom SiT entwickelte Atlas der industriellen Transformation.
Er liefert erstmals eine konsolidierte Sicht auf regionale Ausgangslagen: Transformationsindikatoren, Standortprofile, SWOT-Analysen und Szenarien. Diese Daten zeigen, wo Regionen stehen und wo strukturelle Brüche drohen.
Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Investitionskraft deutscher Industrieregionen sich erheblich unterscheidet, wie der Regionalatlas der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder zeigt. Diese regionalen Unterschiede haben einen hohen Einfluss auf Transformationsgeschwindigkeit und Wettbewerbsfähigkeit.

Ein Beispiel, was möglich wird, wenn Zielbilder klar definiert sind, ist das SALCOS®-Programm der Salzgitter AG. Das Projekt zeigt, wie konsequente Planung und langfristige Strategie selbst energieintensive Industrien in hohem Tempo transformieren können.
Über solche öffentlich geförderten Leuchtturmprojekte hinaus bleibt jedoch die drängende Kernfrage: In welche Richtung soll sich die deutsche Industrie entwickeln? Und wie kann sie sich transformieren und dabei weltweit wettbewerbsfähig bleiben? Die Dekarbonisierung der deutschen und europäischen Industrie, während große Teile der Welt weiterhin fossile Energieträger nutzen, schafft Zielkonflikte und erhebliche Transitionsrisiken.
An diesem Punkt wird sichtbar: Deutschland hat bei der industriellen Transformation nicht nur ein Umsetzungsproblem, sondern vor allem ein Strategieproblem. Die Herausforderungen sind zwar erkannt, doch Vision und Strategie für die Transformation sind noch weitgehend ungeklärt. Das beginnt schon bei der Frage, ob die industrielle Transformation dezentral im freien Wettbewerb der Industrieregionen oder zentral durch eine einheitlich koordinierte Industriepolitik erfolgen sollte.
Wandel: Dezentral, zentral – oder beides?
Aktuell findet industrielle Transformation sowohl bottom-up als auch top-down statt: Regionen organisieren eigene Netzwerke, Programme und Projekte; Unternehmen entwickeln ihre industriellen Ökosysteme weiter. Zugleich existieren im Rahmen der Bundesförderpolitik zunehmend zentrale industriepolitische Ansätze, etwa für Energie, Halbleiter oder Verteidigung.
Eine sich organisch in den Regionen entwickelnde industrielle Transformation erscheint zunächst plausibel, da Wettbewerb und Marktmechanismen Fehlallokationen vermeiden helfen. Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass eine rein dezentrale Bottom-Up-Transformation zu langsam und zu fragmentiert ist, um globale Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen.
Gleichzeitig ist aus der Transformationsforschung bekannt, dass ein reiner Top-Down-Ansatz Widerstände erzeugt und Gefahr läuft, an der Realität und Dynamik regionaler Entwicklungen vorbeizugehen.
Deshalb ist auf Basis von Forschungserkenntnissen ein Synthese-Modell zu bevorzugen: eine koordinierte polyzentrische Transformation.
Dieses Modell umfasst:
- nationale Leitplanken
- regionale Ausgestaltung
- sektorale Koordination
- geteilte Infrastrukturplanung
- abgestimmte Transformationspfade in Schwerpunktbranchen
Koordination sollte in diesem Kontext nicht mit Planwirtschaft verwechselt werden. Es geht nicht darum, Branchen oder Geschäftsmodelle staatlich zu steuern. Es geht darum, die strukturellen Voraussetzungen zu schaffen, damit Märkte überhaupt funktionieren: verlässliche Energie, schnelle Genehmigungen, klare Leitplanken, funktionierende Infrastruktur und abgestimmte überregionale Investitionspfade. Ohne diese Koordination entstehen Fragmentierung, Verzögerungen und Unterinvestition – klassische Marktversagen in Transformationen.
Deutschland bewegt sich bisher nur teilweise in Richtung einer solchen koordinierten polizentrischen Transformation. Als Folge laufen zentrale Elemente der Transformation asynchron:
- Investitionsentscheidungen
- Netzausbau und Energieinfrastruktur
- Genehmigungsverfahren
- regional unterschiedliche Prioritäten
Diese Asynchronität ist kein Randphänomen – sie ist einer der größten Hemmfaktoren des industriellen Wandels.
Weiterdenken: Welche Branchen sind in 10 Jahren noch wettbewerbsfähig?
Neben dem richtigen Mix aus dezentralen und zentralen Elementen ist es für eine effektive Transformationsstrategie entscheidend, sich unvoreingenommen wichtigen Zukunftsfragen zu stellen, beispielsweise: Welche Branchen einer Region werden in zehn Jahren noch wettbewerbsfähig sein – und wie? Diese in Hannover aufgeworfene Frage sollte auf nationaler wie regionaler Ebene systematisch erörtert werden, um strategische Lösungen zu entwickeln.
Regionale Innovations-Werkstätten könnten dafür den Rahmen bieten. Sie verbinden:
- regionale Daten (z. B. aus dem Atlas)
- Branchenperspektiven
- Infrastruktur- und Energiefragen
- Transformationspfade einzelner Unternehmen
- industriepolitische Zielbilder
Solche Formate schaffen nicht nur Orientierung, sondern helfen, Investitionsunsicherheit zu reduzieren und die regionale Resilienz zu stärken. Damit bilden sie ein zentrales Element auf dem Weg von fragmentierten Maßnahmen hin zu kohärenten Transformationsstrategien.
Fazit: Deutschland braucht Strategie + Koordination + Umsetzung
Die Tagung in Hannover hat deutlich gemacht, dass in Deutschland ein klares Verständnis für die Herausforderungen der industriellen Transformation existiert. Dazu gehört, Umsetzungshemmnisse – etwa durch langsame Genehmigungsverfahren oder überkomplexe Regulierung – zu reduzieren, um Transformationstempo und Investitionssicherheit zu erhöhen. Andernfalls droht der Standort im globalen Wettbewerb hinter Länder zurückzufallen, die Transformation konsequenter und schneller vorantreiben.
Neben der Umsetzungsgeschwindigkeit zeigt sich jedoch vor allem ein industriepolitisches Orchestrierungsproblem. Ohne eine klare Vision, wie die industrielle Landkarte Deutschlands und Europas im Jahr 2035 aussehen soll, bleibt Transformation reaktiv und langsam.
Damit Unternehmen von reaktiver in aktive Transformationslogik wechseln können, benötigen sie Daten, regulatorische Klarheit, industriepolitische Zielbilder und eine strategische Übersetzung für ihr eigenes Geschäftsmodell. Die Akteure auf nationaler und regionaler Ebene stehen daher vor der dringenden Aufgabe, gemeinsam Vision und verlässlichen Rahmen zu schaffen.
Nächste Schritte
Wenn Sie Orientierung für die strategische Ausrichtung Ihres Unternehmens suchen oder prüfen möchten, wie Ihre Region im Transformationskontext aufgestellt ist, stehe ich Ihnen gerne für ein erstes Gespräch zur Verfügung – mit Datenbasis, Klarheit und einer strukturierenden Außenperspektive, die wirtschaftliche, regionale und industriepolitische Faktoren miteinander verbindet.
