Fünf strategische Lektionen aus dem VW-Abgasskandal

Der Rücktritt von Martin Winterkorn als Vorstandsvorsitzender von Volkswagen am 23. September war der bisherige Höhepunkt des Emissions-Schwindel-Skandals. Am 22. September hatte Volkswagen zugegeben, Software zum Verändern der Abgas-Testergebnisse für 11 Millionen seiner Fahrzeuge mit Dieselmotor eingesetzt zu haben, die zwischen 2009 und 2015 verkauft wurden.

2009 Volkswagen Jetta Diesel Sedan
Schnappschuss aus glücklicheren Tagen: Volkswagen Jetta Diesel Sedan, Green Car of the Year 2009.

Der Schwindel und die Emissionsverstöße kamen durch Ermittlungen zu VWs Dieselmotoren ans Licht, die von der US-Umweltbehörde EPA und dem kalifornischen Air Resources Board durchgeführt wurden. Volkswagen hatte Software zum Manipulieren von Testergebnissen eingesetzt, um die Einhaltung von Emissionswerten für seine TDI-Dieselmotoren in den USA bestätigt zu bekommen.

Antworten auf viele Fragen stehen noch aus; sie könnten dazu beitragen zu verstehen, was das Verhalten von Europas größtem Autobauer getrieben hat: Wer hat die Machenschaften entwickelt? Wer wusste davon? Warum haben Europas Regulierer den Emissions-Schwindel nicht entdeckt?

Angesichts der vielen fehlenden Informationen mag es etwas früh erscheinen, finale Schlüsse aus dem Fall zu ziehen. Nichtsdestotrotz wage ich, einige erste strategische Lektionen aus dem VW-Emissions-Skandal zu ziehen. Mir ist bewusst, dass ich die eine oder andere Schlussfolgerung eventuell revidieren muss, wenn neue Fakten auftauchen. Nehmen Sie also die folgenden fünf Lektionen als meine ersten und keinesfalls abschließenden Einsichten.

Lektion 1: Das Versäumnis, die möglichen Folgen seiner Handlungen zu durchdenken kann zu schlechten Entscheidungen führen.

Wer auch immer bei Volkswagen verantwortlich ist für die massive Manipulation hat die Möglichkeit außer Acht gelassen von den Behörden ertappt zu werden, oder dieser Möglichkeit zumindest nicht ausreichendes Gewicht beigemessen. Dieses ausgesprochen menschliche Verhalten, nämlich Wunschdenken und die mangelnde Berücksichtigung nachteiliger Folgen, ist möglicherweise in diesem speziellen Fall durch zwei Faktoren verschärft worden: Hybris und Erfahrung.

Europas größter Autohersteller zu sein kann manchen Menschen zu Kopf steigen und sie glauben machen, dass sie schlauer als alle anderen sind und mit allem davonkommen. Diese Selbsttäuschung kann gefördert worden sein durch die Erfahrung eher zahmer Behörden in Europa, die anscheinend die Abgastests von Volkswagen-Dieselmotoren nicht ernsthaft genug hinterfragt haben.

Lektion 2: Eine schlechte Strategie kann nicht mit taktischen Maßnahmen repariert werden.

Die interessante Frage ist, warum ein erfolgreicher Autobauer eine solche systematische Manipulation in großem Umfang betreibt. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass VW an die Grenzen seiner Diesel-Strategie gestoßen ist: Die gestiegenen Emissions-Standards mit seiner sogenannten sauberen Diesel-Technologie zu erfüllen und gleichzeitig im Kostenrahmen für Mittelklasse-Autos zu bleiben, schien den Konzern vor ein strategisches Problem gestellt zu haben, auf das er keine angemessene Antwort fand.

Die Mängel der saubere-Diesel-Strategie durch Manipulationen zu kompensieren könnte verlockender gewesen sein, als sich einzugestehen, dass die Strategie falsch ist. Im Rückblick wäre es jedoch besser gewesen, eine ehrliche Reevaluierung der saubere-Diesel-Strategie in der Wolfsburger Zentrale durchzuführen, statt alles zu versuchen um die saubere-Diesel-Strategie zu rechtfertigen.

Lektion 3: Scheinbar weit entfernte Ereignisse können das eigene Geschäft beeinträchtigen.

Man könnte meinen, dass Volkswagens europäische Wettbewerber nun allen Grund haben, sich über den tiefen Fall des Markführers zu freuen. Doch das Gegenteil ist der Fall, speziell für deutsche Autohersteller.

[tweetthis remove_url=”true”]Der VW-Abgasskandal könnte das Vertrauen der Kunden in Diesel-Autos unterminieren. http://bit.ly/1GaSB3P #Dieselgate #VW #Abgasskandal[/tweetthis]

Der Emissionsskandal hat nicht nur Volkswagen beschädigt, sondern auch den Verdacht gegenüber anderen deutschen Hersteller geweckt. Alle größeren europäischen Autohersteller haben stark in die Diesel-Technologie investiert und sind abhängig vom Verkauf ihrer Diesel-Fahrzeuge. Der Abgasskandal könnte das Vertrauen der Kunden in Diesel-Autos grundsätzlich unterminieren.

Doch die Auswirkungen von ‘Dieselgate’ gehen womöglich noch weiter und können den guten Ruf deutscher Technologiefirmen beschädigen, da VW ein leuchtendes Beispiel für Technikprodukte ‘Made in Germany’ war.

Lektion 4: Unternehmenswerte sind ein wichtiger strategischer Faktor.

Wie andere multinationale Unternehmen auch vertritt VW offiziell löbliche Werte: “Sieben Werte definieren unsere Haltung. Dies sind Kundennähe, Höchstleistung, Werte schaffen, Erneuerungsfähigkeit, Respekt, Verantwortung und Nachhaltigkeit.” (Volkswagen Nachhaltigkeitsbericht 2014)

Unternehmenswerte in Hochglanzbroschüren zu schreiben ist eine Sache, sie auf allen Ebenen weltweit zu verwirklichen eine andere. Während einige immer noch denken, dass Unternehmenswerte etwas für Gutmenschen sind und nicht für erfolgreiche Führungskräfte, ist es in Wirklichkeit so, dass Werte auf glaubwürdige, transparente Art umzusetzen zu einem strategischen Vorteil führen kann. Auf der anderen Seite kann die fehlende Umsetzung von Unternehmenswerten desaströse Folgen haben, wie der VW-Abgasskandal illustriert.

Lektion 5: In strategisches Denken zu investieren ist billiger als für strategisches Scheitern zu zahlen.

Es gibt keinen garantierten Weg um strategisches Scheitern zu vermeiden. Es ist jedoch möglich, strategisches Scheitern in einer epischen Größenordnung zu vermeiden, wie Volkswagen sie gerade erlebt. Dies erfordert, dass auf allen Ebenen wo Entscheidungen gefällt werden die Entscheider in strategischem Denken geschult sind. Das beinhaltet die Kompetenz, auf rationalem Weg Handlungsoptionen zu erkennen und zu vergleichen sowie die Konsequenzen dieser Optionen vorauszusehen.

Die Entscheider bei VW, die direkt für den Abgasskandal verantwortlich sind, haben gezeigt, dass ein Mangel an strategischem Denken verbunden mit einem Mangel an verantwortlichem, Werte-basierten Verhalten zu schlimmen Konsequenzen für sie selbst, für Ihr Unternehmen und eine ganze Industrie führen kann.